LIO – Und dann?
Von einem, der auszog, was Neues zu lernen
Ein Bericht von Malte Benz – 7. Dezember 2018
Ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass wir zuletzt alle zusammen waren. Wir haben gelacht, gesungen, gefeiert, getrunken und getanzt. Alles in allem war es ein sehr gelungener 14. Juni. Wir, das sind die Abiturientinnen und Abiturienten der LIO 2018. Voller Vorfreude warten sicherlich viele von euch auf den ABI-Ball. Auf den Moment, wenn der Schulleiter dir dein ABI-Zeugnis überreicht. Es ist quasi der „Lohn“ für all die Schufterei. Doch was passiert danach? Selbst der schönste Abend endet spätestens am nächsten Morgen. Wie geht es weiter? Nun, so klischeehaft, wie es klingt: Urlaub! Zwei Tage nach dem ABI-Ball bin ich mit Freunden in den Urlaub gefahren.
Vom schönsten Sommer seit langem – oder der Unterschied zwischen Kohl und Salat
Zuerst nur wenige Tage auf die Nordseeinsel Amrum. An einem der breitesten Sandstrände Europas konnte man schnell die neue, große Freiheit und die Lust auf das Unbekannte spüren.
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Amrum – die ganz große Freiheit; Fotos: S. Fritsch und M. Benz
Später ging es mit großer Gruppe nochmal in den Urlaub. Der Unterscheid zu Urlaub mit Freunden wie ich ihn bis daher kannte: mit Autos. Wir haben unseren Eltern für 14 Tage die Autos abgequatscht und dann ging es an den Dümmer, um genauer zu sein in den beschaulichen Ort Lembruch. Schnell stellen wir fest, dass man mit einer acht Personen großen Gruppe ziemlich oft einkaufen muss – und dass Geschmäcker sehr verschieden sind. Auf der Suche nach einer Mahlzeit die jeder mag, entdecken wir das Kräuterbaguette für uns. Die Verkaufszahlen für diesen einfachen, aber doch köstlichen Snack sind während unseres Aufenthalts sicherlich exponentiell gestiegen. Doch der Satz des Urlaubs war wohl eindeutig: „Es ist jetzt offiziell, wir singen so kriminell schlecht, dass jemand die Polizei gerufen hat“. Was da aber genau passiert ist, behalten wir dann doch lieber für uns, getreu nach dem Motto: What happens in Lembruch stays in Lembruch!
Aber egal, ob es der Versuch ist, einem Freund die Haare pink zu färben (die Frisörin weigerte sich, es sei ihr Job Menschen zu verschönern, nicht sie zu verunstalten; bis dahin hatte ich noch nie etwas vom Hippokratischen Eid im Frisörgewerbe gehört), ein Weißkohl, den man mir als Kopfsalat verkaufen will (Begründung: war günstiger) oder Wasserschlachten im Schwimmbad (mehr oder weniger freiwillig mit Handy) – dieser Urlaub war das, was man als den perfekten Urlaub und Sommerabschluss bezeichnen konnte.

Sonnenuntergang am Dümmer in Lembruch; Foto: M. Benz
Von neuen Herausforderungen – oder neuen Aufgaben, alten Probleme
Mit dem 01.08. begann für mich mein neues Leben: Beamter auf Widerruf. Finanzanwärter. Natürlich ist es ein tolles Gefühl, sein eigenes Geld zu verdienen, aber schnell stellt man fest: so einfach ist das alles gar nicht. Ich wurde (bei zugebenermaßen unmenschlichen Temperaturen) mit einer Vielzahl neuer Gesichter und Namen konfrontiert. Und wer mich kennt weiß: mit Namen bin ich sehr speziell…. . Und nicht nur das: die Finanzverwaltung sieht vor, den theoretischen Teil des dualen Studiums im Studienzentrum der Finanzverwaltung und Justiz in Rotenburg a. d. Fulda zu absolvieren. Ich habe also eine Woche Zeit um die Leute kennenzulernen, mit denen ich dann die nächsten Monate internatsmäßig nicht nur zusammen lernen, sondern auch leben soll. Aber bevor ich erzähle, wie es sich zusammen mit mehr als 600 andern Studenten lebt, komme ich zu einem anderen Punkt.
Vom Abschied – oder warum loslassen nicht vergessen ist
Denkt jetzt an die Menschen, die euch tagtäglich in der Schule begegnen. Viele davon sind eure Freunde. Wie wird das, wenn man sich nicht mehr jeden tag sieht? Auch ich habe mich mit dieser Frage schwergetan und sie ganz geschickt verdrängt. „Man sieht sich ja noch“ oder „Es gibt ja Instagram und WhatsApp“ habe ich immer gesagt. Und doch finde ich mich eines Samstags am Frühstückstisch einer Freundin wieder und weiß: es ist das letzte Mal, dass wir uns sehen. Am kommenden Tag bricht sie dann auf nach Gran Canaria. In diesem Fall überbrücken WhatsApp, Instagram und Snapchat tatsächlich sehr gut die Entfernung. Doch in manchen Fällen ist dies leider nicht der Fall, selbst wenn es nur um Ort wie Marburg geht.
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FSJ in Gran Canaria; Fotos: S. Fritsch
Das klingt jetzt alles ganz schrecklich und bevor ihr jetzt aufhört zu lesen oder die Chefredaktion mir einige Teile raus streicht, weil sie zu depressiv sind, wieder zu etwas Positivem. Manchen Freundschaften tut es sehr gut, wenn man sich nicht täglich sieht. Tatsächlich habe ich manche „Mitschüler“ erst nach dem ABI als gute Freunde schätzen gelernt, obwohl wir uns vorher jeden Tag gesehen haben. Man schätzt die Treffen mehr, hat sich neues zu erzählen und vielleicht ist Vermissen ja tatsächlich sowas wie Dankbarkeit….
Von Rotenburg – oder warum der weisungsgebunden Kopfgeldjäger steuerrechtlich easypeasy ist
„Da steh‘ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!“ Ungefähr das denke ich, als ich am 08. August bei 38 Grad mit gefühlt keinen Informationen aus einem überfüllten Zug den Bahnsteig von Rotenburg an der Fulda betrete. Ich bin voller Aufregung, gespannt auf das, was da so kommt. Da wusste ich noch nicht, dass das was da so kommt, in einer Geschwindigkeit auf mich zuraste, die jenseits von allem liegen wird, was ich bisher erlebt haben sollte. Ich beziehe mein kleines Studentenzimmer (oder Studierzimmer, um im Faust-Slang zu bleiben; und das Steuerrecht sollte ich hier tatsächlich häufiger studieren, als ich dachte), um das mich so viele meiner Freunde beneiden, weil es mich selbst (inklusive drei Mahlzeiten am Tag) nur 90€ pro Monat kostet und ich direkt auf dem Campus lebe.
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Mein kleines Zimmer | Mein kleines Zimmer Fotos: Malte B. |
Und dann beginnt es: mein Leben an der Hessischen Hochschule für Finanzen und Rechtspflege (HHFR). Noch gedanklich in Fächern wie Deutsch, Mathe, PoWi oder Bio unterwegs wird schnell klar: Einkommenssteuer, Umsatzsteuer oder Abgabenordnung sind neue, für mich unbekannte, Welten. Schon mal darüber nachgedacht, wie ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis entsteht? Nein? Ich bis dorthin auch nicht. Und viele solcher „Gute-Frage-Momente“ sollen noch folgen.
Mit viel Geduld, Einfühlungsvermögen und Witz versuchen uns Dozenten das Steuerrecht näherzubringen. Und schnell stelle ich fest: Dozenten sind auch nur Menschen und auch sie schauen Asi-Fernsehen. Denn spätestens, als mir Roland und Camilla Geist, ersterer Inhaber der Geistini-GmbH, letztere mit mehr Kontakten als Talent gesegnet, in einer Klausur begegnen, haben die Dozenten genau meinen Humor getroffen. Und so soll es weitergehen. Man lebt sich ein, isst, statt mit der Familie mit seinen Kollegen, und stellt fest, dass die „auch ganz okay“ sind. Ein Kollege bezeichnet uns liebevoll als „Finanzamt-Familie“ und irgendwie hat er recht…
Von Mobilität – oder wie die Deutsche Bahn mich zum Autofahrer macht
Wer jetzt mal einen Atlas neben sich hat (oder eben das iPad) stellt schnell fest, dass Darmstadt und Rotenburg gute 200 Kilometer trennen. Zu Beginn nutze ich das Landes-Ticket, das alle hessischen Beamten kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen (danke an dieser Stelle). Schnell stelle ich aber fest, dass drei Stunden ausgewiesene Fahrzeit schnell mal vier oder noch mehr werden. Ich wechsele also vom Zug auf das Auto. Ungefähr zwei Stunden pro Weg sind realistisch, auch wenn einige Kolleginnen und Kollegen nur 90 Minuten brauchen, wobei auch mal der ein oder andere Porsche von rechts überholt wird – also, habe ich gehört. Fahren mit Warpgeschwindigkeit könnten vielleicht Herr Fröhlich und Frau Breuer thematisieren, einige meiner Kollegen wären daran sicher interessiert.
Vom Singen – oder wie eine schwedische Popgruppe mich zum Chor bringt
„Heute Chorprobe von 19 – 21.30 Uhr im Audimax“ lese ich in meiner zweiten Woche in Rotenburg. Es muss die Zeit gewesen sein, in der „Mamma Mia 2“ in die Kinos kam. Also nehme ich meinen Mut zusammen und besuche die Probe mit der Absicht, mindestens ein Lied von ABBA zu singen. Im Audimax treffe ich den Chorleiter. Ein netterer, älterer Herr (gerade im Sabbatjahr) der sich der Musik verschrieben hat. „Es ist wunderschön, mit Musik kriegst du sie alle. Musik ist generationsübergreifend“ philosophiert er einmal. Nur ABBA habe er die letzten Jahre zu oft gemacht, man müsse das dieses Jahr mal aussetzen. Schade! Trotzdem gehe ich von nun an regelmäßig in die Chorprobe. Hier lerne ich meine Mitstudenten besser kennen. Zusammen verbindet uns die Musik und wir arbeiten auf ein gemeinsames Ziel hin: das Adventskonzert am 05.12.. In den folgenden Wochen lerne ich Lieder wie „For The Longest Time“ oder „Vois Sur Ton Chemin“ und stelle fest, dass ich hätte doch mehr Zeit in Französisch investieren müssen.
Von Weihnachten – oder die heiligen drei Könige Caspar, Melchior und Amazon
Die wohl stressigste Vorweihnachtszeit meines bisherigen Lebens. Bis zum 20.12. werden Klausuren geschrieben. Allerdings nicht irgendwelche Klausuren, sondern Klausuren, die darüber entscheiden, ob ich weiter in der hessischen Finanzverwaltung bleiben darf. Verständlicherweise konzentriert man sich vermehrt auf die Klausuren und vernachlässigt Anderes, wie in etwa den alljährlichen Geschenke-Wahnsinn. Aber dank online Bestellung ist das eigentlich kein Problem. Gespannt warte ich noch auf den Weihnachtsmarkt in Rotenburg, vielleicht finden Last-Minute-Shopper wie ich dort ja noch eine kleine Inspiration.
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Winter is coming; Fotos: M. Benz
Von der Zukunft – oder warum unsere Vergangenheit bestimmt wer wir in der Zukunft sein werden
Gespannt und etwas ehrfürchtig gehe ich nun in die Prüfungen und freue mich auf Weihnachten, Silvester, das Neue Jahr und dann auf meine erste Praxisphase im Finanzamt in Darmstadt. Meine Erkenntnis aus dem ersten halben Jahr nach dem ABI: Genießt die Schulzeit, auch wenn Schule und Lehrer manchmal nervig sind. Diese Zeit geht viel zu schnell vorbei und so viel Freizeit bekommt ihr so schnell nicht wieder!
Die LIO hat mich stark geprägt. Und ich fühle mich noch immer mit ihr verbunden. Vielleicht ist es mit der Schule eine Art Hassliebe. Wenn man dort ist, ist man regelmäßig genervt, aber wenn es vorbei ist, fehlt sie einem. Schule ist mehr als Frontalunterricht. Es ist ein Aufeinandertreffen unterschiedlicher Ideen, Wünsche, Ziele und Individuen. Sie begleitet dich durch so viele unterschiedliche Phasen und am Ende steht der ABI-Ball. Und hier schließt sich der Kreis! In diesem Sinne wünsche ich viel Erfolg auf dem Weg zum ABI an der LIO! Sicher werde ich die LIO bald besuchen und sozusagen eine „Zeitreise“ in meine Vergangenheit unternehmen. Ich freue mich schon darauf, viele Gesichter wieder zu sehen.
Malte B.